Der Hindernislauf Integration

Artikel 4 des Ausländergesetzes definiert als Ziel der Integration das „Zusammenleben der einheimischen und ausländischen Wohnbevölkerung auf der Grundlage der Werte der Bundesverfassung“. Der Artikel steht für das gesellschaftspolitische Ziel, Zugezogene an die hiesigen Wertvorstellungen anzupassen. Dabei werden der Integrationswille der Migrant*innen und die Offenheit der schweizerischen Gesellschaft vorausgesetzt. Obwohl das Konzept seit Langem politisches Programm ist, erweist sich seine Umsetzung bis heute als schwierig. Es gibt zwar viele gute Ansätze für Integration. Aber als politisches Programm, sowie teilweise auch durch die Behördenpraxis und die Gesellschaft, wird das Integrationserfordernis immer wieder als Stigmatisierung und Ausschlusskriterium gehandhabt. Dies manifestiert sich beispielsweise dann, wenn Migrant*innen im Einbürgerungsverfahren den Integrationstest des Einwohnerrates aufgrund „deren Grundhaltung“ nicht bestehen oder muslimische Frauen aufgrund ihres Kopftuches öffentliche Ämter nicht innehaben können (vgl. Marc Spescha u.a., Handbuch zum Migrationsrecht, Zürich 2015, S. 318; Daniel Gerny, Basel verbietet Gerichtsschreiberinnen das Tragen eines Kopftuches, NZZ vom 23.05.2018).

Bei der Integration geht es um eine Vorstellung, wie die Gesellschaft sein sollte. Dabei wird oftmals von einer homogenen Bevölkerung ausgegangen, bei der alle Mitglieder dieselben Wertvorstellungen teilen. Integration bedeutet gemäss Duden die „(Wieder)herstellung einer Einheit“. Wie in einem Tessellat-Mosaik - einer Kunsttechnik, die gleichförmig zugeschnittene Steinchen verwendet – hat es zwar für jede*n (der oder die «berechtigt ist» hier zu sein) einen Platz. Verschiedenfarbige Steine sind willkommen und dürfen am Ganzen teilhaben, wenn sie bloss die richtige Form annehmen. Um sich diesen Platz zu verdienen und als zugehörig behandelt zu werden, müssen sie sich in die Einheit einfügen, also bestimmte Bedingungen erfüllen und die vorgegebene Form annehmen. So bedeutet Integration, sich anzugleichen, bis man in die vermeintliche Einheit reinpasst. Damit verbunden ist oftmals auch das Aufgeben von Eigenheiten. Die eigene Kultur, Religion oder Lebensform bleiben, wenn man als integriert gelten will, besser im privaten Raum (vgl. Mark Terkessidis, Interkultur, Berlin 2015, S. 50ff). Sich an die Wertvorstellungen der Schweizer*innen anzupassen, ergibt sich als äusserst schwierig, wenn man einsieht, dass diese keinesfalls auf einen Nenner gebracht werden können. Auch Schweizer*innen gleichen sich nicht wie ein zugeschnittenes Mosaikstück dem anderen.

An Migrant*innen wird also der Anspruch gestellt, sich den angeblich gesamtschweizerischen Wertvorstellungen anzupassen. Egal, wie viele Sprachen ein*e Migrant*in spricht oder welche Geschichten und Erfahrungen, Qualitäten und Diplome sie oder er mitbringt. Diese haben in den Augen derjenigen, die auf Integration pochen ohne ihren Anteil zu leisten, keinen Wert mehr. Es zählt einzig die am jeweiligen Wohnort gesprochene Sprache und die hier erbrachten Leistungen (vgl. Regina Mikula u.a., Anerkennung und Migration. Zur Anerkennung und Partizipation von Migrant_innen. Ein Beitrag zur Verflüssigung von stereotypen Ausgrenzungsmustern, Graz 2017, S. 6f.). Die Daseinsberechtigung einer Person hängt nach dieser Sicht von dessen erfolgreicher Integration ab. Obwohl es sich, wie oben erwähnt, bei der Integration um einen gemeinsamen Prozess handeln sollte, der die Offenheit der einheimischen Bevölkerung voraussetzt, werden konkrete Anforderungen in der Regel nur an die Migrant*innen gestellt (vgl. Carola Kuhlmann u.a., Soziale Inklusion. Theorien, Methoden, Kontroversen, Stuttgart 2018, S. 86).

We help each other

Inkluso.ch is a joint project of migrants and locals in Switzerland. To us, inclusion means living with and for each other across cultural boundaries, so that everyone can develop their talents for the benefit of the community. Your donation allows us to continue to develop our services!